Sprachtypologie

Sprachen werden vor allem auf 2 Arten untergliedert: Nach genetischen und nach typologischen Merkmalen.

Die genetische Klassifikation ist geschichtlich orientiert und erforscht die Abstammung und Entwicklung der Sprachen aus einem gemeinsamen Vorgänger. Die Einzelheiten werden hier, die dabei angewandten Methoden werden hier näher dargestellt.

Dagegen befaßt sich die typologische Klassifikation mit dem Vergleich formaler Ähnlichkeiten zwischen Sprachen. Dabei wird versucht, Sprachen nach Phonologie, Grammatik und Wortschatz in strukturelle Typen einzuteilen, nicht nach tatsächlichen oder vermuteten historischen Verbindungen.

Aufgrund der Morphologie (Wortstruktur) lassen sich Sprachen in 3 Grundtypen unterscheiden:

  • isolierend,
  • agglutinierend,
  • flektierend (fusionierend)

1. Isolierend

Sprachen dieser Art werden auch als analytische oder Wurzelsprachen bezeichnet. Bei ihnen sind alle Wörter unveränderlich, Endungen gibt es nicht. Grammatikalische Beziehungen werden statt dessen durch die Wortstellung angezeigt.

Charakteristische Beispiele sind Chinesisch und Vietnamesisch:

Der Mandarin-Satz “ta bu hui yong dao chi fan” heißt wörtlich übersetzt: “er nein kann benutzen Messer essen Reis” (“Er kann Reis nicht mit dem Messer essen”).

2. Flektierend

Die zweite Art des Sprachbaus wird auch als fusionierend oder synthetisch bezeichnet. Hier werden grammatikalische Beziehungen durch Veränderungen der inneren Struktur von Wörtern vermittelt - meist durch Flexionsendungen, die mehrere grammatikalische Bedeutungen gleichzeitig ausdrücken.

Typische Beispiele hierfür sind Latein, Altgriechisch und Arabisch:
Allein aus der Endung  -o  der lateinischen Form amo “ich liebe” ist ersichtlich, daß es sich um die 1. Person Singular, Präsens, Indikativ und Aktiv handelt.

3. Agglutierend

Hier setzen sich Wörter aus langen Abfolgen von kleinsten Einheiten (Morphemen) zusammen, wobei jede Einheit eine bestimmte grammatikalische Bedeutung hat.

Die Bedeutung von amo würde etwa durch 5 Affixe ausgedrückt - je eines für Person, Numerus, Tempus, Genus verbi und Modus.

Das Japanische tabe-sase-rare-ru bedeutet “kann jemanden zum Essen bewegen”; tabe heißt “essen”, sase “zu etwas bewegen”, rare “kann”, und ru markiert die Gegenwart.

4. Polysynthetischen Sprachen

Manche Wissenschaftler wollen noch eine 4. Gruppe bilden. Hier werden eine Vielzahl von Morphemen zu komplexen Wörtern zusammengesetzt, die als Einwort-Sätze fungieren können wie im Tschuktschischen.

Die Wörter sind oft sehr lang und komplex und weisen Merkmale des flektierenden und agglutierenden Sprachbaus auf. Beispiele hierfür sind Eskimo, Mohawk und die australischen Sprachen.

Übersicht:

Sprachbau Charakteristika typische Beispiele
analytisch (= isolierend) Alle Wörter sind unveränderlich, Endungen gibt es nicht. Grammatikalische Beziehungen werden durch die Wortstellung angezeigt. chinesisch, vietnamesisch
agglutierend Die Wörter setzen sich aus langen Abfolgen von Einheiten zusammen, wobei jede Einheit (Morphem) nur eine bestimmte Bedeutung hat. finnisch, türkisch, japanisch
flektierend (= synthetisch, fusionierend) Grammatikalische Beziehungen werden durch Veränderungen der inneren Struktur von Wörtern vermittelt (meist durch Flexionsendungen), die mehrere grammatikalische Bedeutungen auf einmal ausdrücken lateinisch, griechisch, arabisch

Genetische oder typologische Klassifikation?

Keine der beiden Methoden konnte sich bislang eindeutig durchsetzen. Jede von ihnen hat in bestimmten Bereichen Vor- und Nachteile.

Beide Ansätze werden dabei oft zum gleichen oder einem ähnlichen Ergebnis kommen. So sind z.B. die Schnalzsprachen Südwestafrikas sicherlich sowohl nach der genetischen Methode als auch nach dem typologischen Ansatz eng miteinander verwandt.

Dagegen gibt es erheblich Unterschiede in Grenzfällen. Zu einem überraschenden Ergebnis führt ein Test am Beispiel der englischen Sprache:

#englisch

Exkurs: Was für eine Sprache ist demnach Englisch?

Nach der genetischen Klassifikation ist das Englische - wie das Deutsche - ganz eindeutig eine germanische Sprache. Aus anderen Perspektiven zeigt sich jedoch ein vielfältigeres Bild:

In kultureller Hinsicht besitzt das Englische viele Gemeinsamkeiten mit den romanischen Sprachen, da es zahlreiche Lehnwörteraus dem Französischen und Italienischen übernommen hat und diese Sprachen (was von wesentlicher Bedeutung ist) auch die Grammatik (vgl. chicken supreme) und die Phonologie (z.B. auslautendes /g/ in Worten wie garage) beinflußt haben.

In typologischer Hinsicht (also nicht hinsichtlich des Wortschatzes) ähnelt das Englische inzwischen den isolierenden Sprachen (z.B. dem Chinesischen) wesentlich stärker als dem Lateinischen: Es besitzt nur wenige Flexionsendungen, und Grundlage der Grammatik sind Veränderungen der Wortstellung.

Es läßt sich somit sagen: Abgesehen vom Wortschatz ähnelt das Englische (bis etwa 1000 n.Chr. eine typische germanische Sprache) heute wesentlich mehr dem Chinesischen als dem Deutschen oder irgend einer anderen europäischen Sprache !   Näheres hier

Englisch im Dreierpack:

  • Isolierend:   The boy will ask the girl
  • Flektierend: The biggest boys habe been asking
  • Agglutierend: anti-dis-establish-ment-arian-ism

Dagegen ist das Deutsche weniger stark als das Englische von den romanischen Sprachen beeinflußt und hat sich auch mehr Flexionsformen erhalten.