Entwicklung der indoeurop. Sprachen
Die Weiterentwicklung der indogermanischen Sprachen ist ganz allgemein und bis in die jüngste Zeit (praktisch bis in die Gegenwart) vor allem von einem ständigen Verfall der Flexion gekennzeichnet.
Man ist sich sicher, daß die indogermanische Grundsprache stark flektierend war, da es auch die sehr alten Sprachen wie Sanskrit, Avestisch und Altgriechisch sind. Der Formenreichtum war dabei fast unüberschaubar: Es gab
- 3 Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum
- mindestens 8 Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Vocativ, Lokativ, Instrumentalis, Ablativ – evt. als 9. Fall den Allativ (in griech. Verben noch greifbar)
- Auch das Verbsystem besaß zahlreiche Formen, die wir im Deutschen heute nicht mehr kennen – erst recht nicht im Französischen und schon gar nicht im Englischen – und die auch die klassischen Sprachen (Altgriechisch, Latein) zum Teil bereits verloren hatten: Formen für Aspekt, Modus, Tempus, Genus, Person und Numerus, usw.
- verschiedene grammatikalische Formen eines Wortes wurden oft durch Ablaut (= Vokalwechsel) gekennzeichnet: Der Wurzelvokal änderte sich systematisch, um Kontraste wie Singular und Plural oder Präsens und Präteritum anzuzeigen, wie es im Deutschen noch heute häufig geschieht, etwa bei Mutter/Mütter oder gehen/ging.
Im Vergleich dazu haben relativ moderne Sprachen wie Englisch, Französisch und Persisch Flexionen weitgehend abgebaut und sich unter Zuhilfenahme von präpositionalen Konstruktionen und Hilfsverben (z.B.: "ich habe gelobt" statt lat.: "lauda-vi") zu einer analytischen Bauweise hin entwickelt. – Die deutsche Sprache nimmt in diesem Rahmen etwa eine Mittelstellung ein.
Der Flexionsverfall ist im Wesentlichen dadurch entstanden, daß im Lauf der Zeit viele Wörter ihre Endsilben verloren haben, z.B. wegen ungenauer Aussprache der Endsilben beim schnellen Sprechen bzw. im Rahmen der Vereinfachung bei Sprachkontakten und allgemein beim Erlernen einer Sprache.
Generell gilt:
- Moderne Wörter der indogermanischen Sprachen sind deshalb meist wesentlich kürzer als ihre Vorfahren in der Ursprache. Sie haben insbesondere den größten Teil der (teilweise sehr umfangreichen) Endungen verloren.
- Zum Ausgleich haben zahlreiche Sprachen neue Formen (insbesondere Hilfsverben, wie sein und haben) und grammatikalische Unterscheidungsmerkmale (insbesondere Präpositionen) ausgebildet.
Beispiel: | Infinitiv | Stamm | Beispiel: wir haben geliebt, usw. (1. Pers. Plural, Indik. Perf. Aktiv) | ||
Latein | laud-are | loben | laud- | lauda-vimus | vi = Perfekt; mus = wir (1.Pers.Plural) |
Altgriechisch | paideu-ein | erziehen | paideu- | pe-paideu-kames | ka = Perfekt; mes = wir (1.Pers.Plural) |
Deutsch | lieb-en | lieb- | wir haben ge-liebt | In diesen modernen indoeuropäischen Sprachen hat das eigentliche Verb fast sämtliche Endungen verloren und besteht (bis auf das Endungs-t im Deutschen) nur noch aus der Grundform (die im Frz. zwar anders geschrieben, aber schon seit Jahrhunderten genauso ausgesprochen wird wie die Grundform). - Die Funktion der Endungen haben die Hilfsverben und Pronomina übernommen. | |
Französisch | chant-er | singen | chant- | nous avons chant-é | |
Englisch | love | lieben | love- | we have loved |
Näheres zu Ursprung, Sinn und Entwicklung der Konjugationsendungen (ausführlich) Hier
Die europäische “Sprachenlandschaft” ist relativ homogen, vor allem im Vergleich zu anderen Sprachräumen (vgl. die ungeheuere Sprachenvielfalt des Kaukasus und vor allem der Südsee).
Im europäischen Sprachraum gibt es im wesentlichen nur
- eine einzige nicht-indoeuropäischeSprachfamilie, zu der das Finnische und das Ungarische gehören (auf das Finno-Ugrisch wird “hier” eingegangen).