Einfluss des Lateinischen und Französischen

Das Lateinische und die romanischen Sprachen haben einen ganz erheblichen Einfluß auf die Entwicklung des Englischen ausgeübt.

1. zeitliche Übersicht

Die Durchdringung des Englischen mit lateinisch-romanischen Wörtern geht - wie auf den folgenden Seiten näher dargestellt wird - im wesentlichen auf folgende Einflüsse zurück:

  • 43 n. Chr.: Britannien wird römische Provinz: Kein nachhaltiger Einfluß des Lateinischen, obwohl die römische Herrschaft fast 400 Jahre (bis 410 n. Chr.) dauert.

    Zum Vergleich: Die Provinz Dakien (das heutige Rumänien) gehörte nur 165 Jahre zum römischen Reich (von 107 – 271 n. Chr.). Trotzdem hatte sich das Latein vollständig durchgesetzt, so daß das Rumänische eindeutig zu den romanischen Sprachen zählt, obwohl es heute (aufgrund des langen Kontakts zu seinen Nachbarsprachen) eine typische Balkansprache geworden ist.
  • 597 Beginn der Christianisierung: Einfluß des Kirchenlateins auf das Altenglische.

  • 1066 Normannische Eroberung: Mittelenglisch sehr starker Einfluß des lateinisch-romanischen Wortschatzes aus dem Französischen, erst durch die Herrschaft der Normannen, dann durch den überragenden Einfluß von Paris. Zugleich Zuwachs des lat.-roman. Vokabulars durch direkte Entlehnungen aus dem Schriftlatein (der Wissenschaftssprache)

  • 16. Jhdt.: Einfluß der Renaissance: Aus der germanisch-romanischen Mischsprache wird das überwiegend lateinisch gefärbte Neuenglisch.

  • 19. / 20. Jhdt.: Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik führt in ungeheuerem Ausmaß zu Neubildungen von Wörtern auf lateinischer (und griechischer) Basis.

2. Betonung

Bei der Übernahme altfranzösischer Wörter wurde die Endbetonung zugunsten der germanischen Anfangsbetonung aufgegeben. – Beispiele:

engl. frz. lat.
memory < mémoire < memoria
second < second < secundus
to occupy < occuper < occupare

3. Lautverschiebung

Die lateinischen Vokale erscheinen heute im Englischen oft in ganz anderer Lautung, da nach der Übernahme der betreffenden Wörter aus dem Französischen weitere Lautverschiebungen im Bereich der Vokale stattgefunden haben.

Obwohl sehr häufig (vor allem am Wortende) Buchstaben ausgefallen sind, lassen sich viele englische Nachfolger ohne weiteres auf die lateinischen Vorgänger zurückführen.

engl. frz. lat.
colour < couleur < color(em)
reason < raison < ratio(nem)
clear < clair < clarus

Obwohl sehr häufig (vor allem am Wortende) Buchstaben ausgefallen sind, lassen sich viele englische Nachfolger ohne weiteres auf die lateinischen Vorgänger zurückführen.

4. Besondere Wortbildungsformen

Das englische Verbalsuffix -ish hat sich aus der 3. Person Plural des Französischen entwickelt,

to finish < ils finissent (frz. finir < lat. finire)
ähnlich:

to punish (< frz. punir < lat punire), to admonish, to extinguish, u.v.m.

Einige englische Verben gehen (anders als ihre Entsprechungen in den romanischen Sprachen) nicht auf die Grundform des Verbs, sondern auf das Partizip Perfekt zurück.

lat. englisch ital. span. franz.
corrumpere (Part. Perf. corruptus) to corrupt corrompere corromper corrompre
agitare (Part. Perf. agitatus) to agitate agitare agitar agiter

Diese Art der Entlehnung ist auf die Fähigkeit des Englischen zum Wortartwechsel zurückzuführen: Das ursprüngliche Partizip - z.B. corrupt(us) - wurde sowohl als Adjektiv wie auch als Infinitiv genutzt.

Einen vergleichbaren Vorgang (Infinitiv = Substantiv) kennt man auch im Deutschen: (sog. „substantivierter Infinitiv“) – Bsp.: laufen, das Laufen; siegen, das Siegen.

Das Englische kennt dieses Prinzip in verstärktem Maße: Dort wird das gleiche Wort aber nicht nur (wie im Deutschen) als Infinitiv und als Substantiv benutzt (import, to import), sondern auch (was es im Deutschen nicht gibt) sowohl als Infinitiv als auch als Adjektiv (vgl. oben: corrupt, to corrupt).

In einigen Fällen wird das gleiche Wort sogar in 3 Wortarten verwandt, nämlich als Verb, als Adjektiv und als Substantiv:

blend blenden die Blinden blind (Verb) (Substantiv) (Adjektiv)
sound klingen Klang vernünftig, ordentlich (Verb) (Substantiv) (Adjektiv)
  (sound < lat. sonatus tönen, klingen)

5. Dubletten

Ein sehr interessantes Thema sind die Dubletten:

Englische Wörter lateinischen Ursprungs sind entweder direkt aus dem Schriftlatein entlehnt oder aus dem Französischen übernommen worden. Manche lateinischen Wörter sind nun mehrfach – zu unterschiedlichen Zeiten – entlehnt worden und daher doppelt (oder noch öfter) im Englischen vertreten.

Dabei bewahrt die spätere Entlehnung den lateinischen Stamm genauer, da sie nicht die Spuren früherer Lautverschiebungen aufweist:

Synonyme (Wortpaare mit gleicher Bedeutung) sind bspw.:

to sever
to separate
< separare
sure
secure
< securus

Wortpaare mit Bedeutungsunterschied:

pity (Mitleid) < pietas
piety (Frömmigkeit)  
reason (Grund) < ratio(nem)
ration (Zuteilung)  

Eine häufige Erscheinung im Englischen ist das Nebeneinander des gleichen Begriffs in germanischer und lateinischer Form, wobei der angelsächsische Begriff im Allgemeinen gefühlsbetonter ist

speed (german.) < velocitas
velocity (latein)  
pity (german.) < pietas
piety (latein)  
to sell (german.) < vendere
to vend (latein)  

In einigen Fällen stehen sogar 3 Synonyme unterschiedlicher Herkunft (Angelsächsisch, Französisch, Latein) für verschiedene Stilebenen zur Verfügung (Umgangssprache, literarisch, gelehrt):

to ask (german.)  
to question (franz.) < la question < quaestio(nem)
to interrogate (latein) < interrogare
holy (german.)  
sacred (franz.) < sacré < sacratus
consecrated (latein) < consecratus
Quelle: Mader, S. 26 f