Substrat- und Superstratsprache

Im Zusamenhang mit der Sprachentwicklung der romanischen Sprachen - aber nicht nur dieser - muß auf die beiden grundlegend wichtigen Begriffe Substratsprache und Superstratsprache näher eingegangen werden.

1. Substratsprachen

Begriff:
Vorhandene Sprachen, die von der Sprache der Eroberer verdrängt werden und vorher (bevor sie völlig verschwinden) noch die neue Sprache beeinflussen, nennt man Substratsprachen.
Das Keltische, das Etruskische, das Drakische, usw. sind also in ihren Verbreitungsgebieten Substratsprachen in Bezug auf das Lateinische und haben dessen Entwicklung in der dort heute übliche Form des Romanischen beeinflußt.

Eine auffällige Eigenart des Französischen, die auf Aussprachegewohnheiten der verdrängten Substratsprache Keltisch zurückgeht, besteht darin, daß das lange lateinische u- zu [y] wurde:

lat.murus (Mauer) > mur, gesprochen [myr]

lat. lu-na (Mond) > lune, gesprochen [lyn]

Ein Beispiel für baskische Substrateinflüsse in Spanien bildet der typisch spanische Wandel von anlautendem f- zu h-, das später verstummte:

span. hijo (Sohn) gegenüber franz. fils und ital. figlio

span. hormiga (Ameise) gegenüber franz. fourmie und ital. formica

2. Superstratsprachen

Begriff:
Beim umgekehrten Vorgang, daß die vorhandene Sprache sich gegenüber der Sprache der Eroberer durchsetzt und diese (bevor sie völlig verschwindet) noch einzelne Wörter, usw. an die vorhandene Sprache abgibt, spricht man von einer Superstratsprache.

Wie seinerzeit (400 bis 500 Jahre vorher) gegenüber den Substratsprachen war das Lateinische auch jetzt im Vergleich zu allen germanischen Sprachen eine angesehene, hochentwickelte und weitverbreitete Kultursprache (allenfalls das Gotische verfügte über eine nennenswerte, im Vergleich zum Lateinischen jedoch äußerst bescheidene literarische Tradition).

Und wiederum verdankte das Lateinische es seinem Prestige, daß die anderen Sprachen ihm seinen Rang nicht geltend machen konnten. - Die Situation ähnelte in gewisser Weise der Stellung des Griechischen im Verhältnis zum Lateinischen 500 Jahre vorher im Ostteil des ehemaligen römischen Reiches.

3. Einfluß der gemanischen Sprachen

Der Einfluß des germanischen Sprachen auf die jeweiligen romanischen Sprachen war eher gering. Am stärksten war der Einfluß des Fränkischen auf das Gallo-Romanische, also das Französische.

Weitgehend unangetastet blieb vor allem die Struktur, also die Grammatik. Ohnehin bedarf es immer eines relativ langen Zeitraums, bis Sprachkontakte nicht nur zur Übernahme von Wörtern, sondern auch zu Anpassungen bzw. Veränderungen der Grammatik führen. Der relativ kurze Zeitraum der Zweisprachigkeit, bis das Fränkische erloschen war, hat hierfür bei weitem nicht ausgereicht.

Der Einfluß des Fränkischen beschränkte sich im Wesentlichen auf den Wortschatz. So fanden einige Hundert germanische Wörter ihren Weg in die romanischen Sprachen, die sich im Französischen z.T. als Alltagswörter bis auf den heutigen Tag gehalten haben,

z.B. auberge (Herberge), gerbe (Garbe), hair (hassen), jardin (Garten), riche (reich), blesser (verletzen), choisir (wählen), guérir (Heilen), fauteuil (Sessel)
(fauteuil geht auf das altfranz. faldesteuil, faldestoel, altniederfränk.*faldistol (klappbarer Stuhl) zurück)

Die Franken lieferten auch einige Suffixe, z.B. -ard (bspw.in vieillard = Greis).

Auch das franz. h aspiré (also das h, vor dem Liaison und Elision (Bindung und Apostrophierung) entfallen) ist ein aus dem Fränkischen eingeführter, meist in germanischen Entlehnungen vorkommender Laut.

z.B. le héros (Held), nicht: l’heros, la hâte (Hast, Eile), nicht: l’hâte, le hêtre (Buche, vgl. dt: Heister)

Ausführlich zum Einfluß der germanischen Sprachen auf die Galloromania (das in Gallien gesprochene Latein)

4. Weitere Beispiele für Superstrate

Aufgrund dieser Einflüsse ist das Germanische zwar das wichtigste Superstrat in den romanischen Sprachen, aber bei weitem nicht das einzige.

Erinnert sei an den jahrhundelangen starken Einfluß der Araber auf Spanien, Portugal, Sizilien und Teile Italiens, insbesondere während der fast 800 Jahre dauernden Besetzung der iberischen Halbinsel durch die Araber (711 - 1492).
In dieser Zeit ist ein Vielzahl von Wörtern aus den Bereichen Wissenschaft, Handel, Verwaltung, Kultur, Küche, u.a. in das frühe Spanische, Portugiesische und Katalanische gelangt.

Auch das Rumänische ist seit dem frühen Mittelalter ständig einem tiefgreifenden slawischen Einfluß ausgesetzt.

In den einzelnen Regionen (Spanien, Frankreich, Italien, usw.) waren somit die Grundsteine für die Herausbildung eigener Sprachen gelegt.

Die Herausbildung der einzelnen Nationalsprachen aus dem Lateinischen (z. B. Französisch, Italienisch, usw.) vollzog sich in fließendem Übergang bis etwa zur Jahrtausendwende.