Herkunft und Ausbreitung
Das Ausbreitungsgebiet des Indoeuropäischen erstreckt sich über ganz Europa und das südliche Asien bis nach Indien und Ceylon. Die nachstehende Karte zeigt das heutige Verbreitungsgebiet der indoeuropäischen Sprachen an. Bemerkenswert ist, daß die indoeuropäische Sprachfamilie – wie die Karte zeigt – bis weit nach Indien reicht, und dies auch schon vor 5000 Jahren getan hat.
Das Verbreitungsgebiet war aber im Zeitpunkt der Ausbreitung der i.g. Sprache (die vor etwa 5.000 Jahren abgeschlossen war) nicht wesentlich kleiner als heute, sondern durchaus mit der heutigen Größe vergleichbar – natürlich abgesehen von den überseeischen Gebieten, wie Amerika, Südafrika und Australien, die bekanntlich erst in den letzten 500 Jahren von Sprechern indoeuropäischer Sprachen besiedelt worden sind.
So sind zwar in geschichtlicher Zeit – vor allem durch die Ausbreitung der slawischen Sprachen – große Gebiete hinzu gekommen. Dies betrifft vor allem das Russische, das sich weit über den Ural hinaus über große Teile Asiens ausgebreitet hat.
Auf der anderen Seite haben sich andere Sprachen (zu Lasten auch der indoeuropäischen Sprachen) in geschichtlicher Zeit ausgebreitet. So waren z.B. die im damaligen Anatolien gesprochenen Sprachen indoeuropäischen Ursprungs, während das heute dort gesprochene Türkisch keine indogermanische Sprache ist, sondern zu den Turk-Sprachen gehört, die zu den altaischen Sprachen gehören.
Die Wanderungswege muß man sich etwa wie folgt vorstellen:
Herkunft und Kultur der Indoeuropäer
Über Identität und Heimat der Kultur, die ihre Sprache seinerzeit über die gesamte damals bekannte Welt verbreitet hatte, wurde viel spekuliert
1.Herkömmliche Auffassung
Archäologische Entdeckungen in den sechziger Jahren weisen auf die prähistorische Kurgan-Kultur hin, also auf halbnomadische Völker , die zwischen 5000 und 3000 v. Chr. in den Steppen westlich des Urals lebten und sich bis etwa 2000 v. Chr. nach Osteuropa und in den Nordiran ausbreiteten. Wegen ihrer Bestattungsbräuche (Kurgan ist türkisch-russisch für “Grabhügel”) werden sie auch Kurganen genannt.
Nach dieser traditionellen Auffassung entstanden die indoeuropäischen Sprachen aus einer Ursprache , die das Idiom nomadische Reitervölker im heutigen Westrußland nördlich des Schwarzen Meeres zu Beginn der Bronzezeit war.
Als diese berittenen Krieger immer größere Gebiete eroberten, sollen sie den Einheimischen ihr Proto-Indoeuropäisch aufzwungen haben, aus dem sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte die heutigen euröpäischen Sachen entwickelten.
Dies war bis vor wenigen Jahren gesicherter Wissensstand und praktisch allgemeine Meinung
2. Kritik hieran - moderne Ansicht
In den letzten Jahren ist diese traditionelle Auffassung vor allem von Wissenschaftlern anderer Fachrichtungen (besonders von Archäologen) stark in Zweifel gezogen worden.
Im Vordringen – und m.E. überzeugend – ist die Ansicht, daß man für die Ausbreitung der indo-europäischen Sprachen keine Eroberungen unterstellen müsse. Vielmehr sei es wahrscheinlich, daß sie auf friedlichem Wege stattfand – mit der Ausbreitung der Landwirtschaft aus deren Ursprungsgebieten in Anatolien und dem nahen Osten.
Den Kritikern der herkömmlichen Auffassung ist uneingeschränkt darin zuzustimmen, daß das Gesamtbild nicht überzeugt: Welche Bevölkerungsexplosion oder welches andere einschneidende Ereignis in den südosteuropäischen Steppen hätte riesige Horden berittener Krieger denn veranlassen sollen, am Ende des Neolthikums, als die Bevölkerungsdichte noch minimal war, nach Westen zu ziehen, die Ureinwohner Europas zu unterdrücken und ihnen die früh-indoeuropäische Sprache aufzuzwingen?
Es ist bereits mehr als fraglich, ob sie hierfür überhaupt die Machtmittel besaßen, um Europa, Indien und den Iran (also praktisch die gesamte damals bekannte Welt) zu erobern und auch noch über einen Zeitraum von vielen Hundert Jahren besetzt zu halten!
Denn ein derart langer Zeitraum ist erforderlich, damit das unterworfene Volk die Sprache der Eroberer (einschließlich der Grammatik !) übernimmt.
Vor allem aber ist keine Bevölkerungsexplosion oder ein anderes einschneidendes Ereignis ersichtlich, das die Bewohner Westrußlands hätte veranlassen sollen, einen Eroberungsfeldzug über rund 10.000 km (von Indien bis nach England und Spanien) und praktisch gegen die gesamte Welt zu unternehmen.
In der Tat gab es in der Vorgeschichte nur ein Ereignis, das weitreichend und in den Folgen radikal genug war, um als ein derart einschneidendes Ereignis in Frage zu kommen: Nämlich die Entwicklung der Landwirtschaft.
Im siebten vorchristlichen Jahrtausend begann die Verbreitung dieser neuartigen Wirtschaftsweise, die sich auf den Anbau von Weizen und Gerste sowie die Schaf- und Ziegenhaltung stützte. Diese Tier- und Pflanzenarten waren in Europa nicht heimisch Sie stammen aus Anatolien und den benachbarten Regionen des Nahen Ostens.
3. Einzelheiten der modernen Auffasung
Simulationsversuche haben folgende zeitliche Abfolge ergeben:
Man ging davon aus, daß die Landwirtschaft von jeweils ortsansässigen Bauern und deren Nachkommen getragen wurde. Sobald die neue Wirtschaftsweise eine neue Gegend erreichte, erhöhte sich nach dieser Vorstellung deren Bevölkerungsdichte rapide – unter Umständen von 1 Person / 10 km², wie es für die frühen Jäger – und Sammlergesellschaften als typisch anzunehmen ist, auf das 50-fache.
Als weitere Berechnungsparametern hat man einen Zeitabstand von 25 Jahren zwischen 2 Generationen sowie die Annahme zugrunde gelegt, daß jeder Bauernsohn im Durchschnitt 35 km (in irgendeine Richtung) vom Elternhaus weg wanderte, bevor er seinen eigenen Hof gründete.
Unter diesen Voraussetzungen hätte sich die Landwirtschaft mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 1 km / Jahr wie eine Welle über Europa verbreitet. Nachdem die neue Wirtschaftsform in Anatolien etabliert war, hätte sie z.B. Nordeuropa gut 1500 Jahre später erreicht, was mit den archäologischen Zeugnissen recht gut übereinstimmt.
Wie immer sich die Ausbreitung im Détail abgespielt haben mag – dieses Modell überzeugt wesentlich mehr als die Invasion berittener Nomaden, die (ohne jeden einschneidende Ereignis !) die gesamte Welt erobert und mehrere 100 Jahre lang besetzt gehalten haben sollen.
Meines Erachtens steht fest: Die Einwanderer kamen nicht aus den Steppen Westrußlands, sondern aus Anatolien, und sie kamen um einige Jahrtausende früher (um 6.500 vor Chr.), als allgemein angenommen wurde.
Aus dieser Hypothese folgt auch, daß die ersten Sprecher des Indoeuropäischen keine einfallenden Krieger mit einer zentral regierten Gesellschaftsordnung waren, sondern friedliche Bauern, die im Laufe ihres Lebens vielleicht einige wenige Kilometer gewandert sind.