Ausblick und Prognose

Das Englische ist übermächtig. Seine Verbreitung und seine Bedeutung ist in der Geschichte nur vergleichbar mit der des Lateinischen.

So wie das Lateinische vor 1.500 Jahren die lingua franca des größten Teils der damals bekannten Welt war (ausgenommen nur Germanien und die äußersten Randgebiete des Reiches), so wird das Englische heute im größten Teil der Welt (vielleicht mit Ausnahme Chinas) gesprochen und verstanden

Aber wird dies immer so bleiben? Wird sich dies möglicherweise noch verstärken? Oder ist der Höhepunkt vielleicht schon erreicht? Ist er eventuell sogar schon überschritten?

1. Eine fast schon ketzerische Frage.

Gilt doch der Siegeszug des Englischen als unausweichlich. Manche Visionäre glauben sogar, daß das Englische die meisten Sprachen verdrängen wird. Daß es in absehbarer Zeit nur noch maximal 10 Sprachen auf der Welt geben werde, nämlich

  • die großen asiatischen Sprachen (wie die chinesischen, indischen, usw.) sowie
  • Spanisch und Portugiesisch (wegen der großen Verbreitung in Süd- und Mittelamerika) und
  • evt. noch Französisch (wegen seiner Verbreitung in Afrika und Nordamerika (vor allem Kanada).


Als einer der ersten Übernahmekandidaten wird das Deutsche angesehen. Hierfür spreche schon die zunehmende Geschwindigkeit, mit der der anglo-amerikanische Wortschatz in die deutsche Sprache Eingang finde.

Alle Sprachbarrieren würden schon in naher Zukunft fallen, sozusagen durch die Globalisierung „hinweggefegt“. Für den "Big Brother"-Produzenten John de Mol ist dies keine Vision, sondern sichere Zukunft. Die Bahn sei dann frei für weltumspannende Fernsehsendungen mit einem Milliardenpublikum.

Aber ist dies wirklich so? Oder geht der Zug möglicherweise in eine ganz andere Richtung?

2. Daß sich eine ...

... Sprache nicht allein durch die Aufnahme von Wörtern derart einer anderen Sprache angleicht, daß sie verdrängt wird, sondern daß sich allenfalls ein häßliches Pidgin mit einer Unzahl von Anglizismen bildet, wurde an anderer Stelle (Denglish) bereits dargelegt.

Und daß diese Entwicklung auch nicht zu einer gegenseitigen Verständlichkeit der verschiedenen Pidgins führen würde, weil für eine gegenseitige Verständlichkeit zumindest die Basissprachen gleich sein müssen (von weiteren Voraussetzungen abgesehen), ist linguistisches Grundwissen. Hierzu liefert die Geschichte unzählige Beispiele.

Eine gegenseitige Verständlichkeit (also z.B. des Denglish, des Franglais oder Spanglish, von außereuropäischen - insbes. asiatischen - Sprachen ganz zu schweigen) würde somit auf keinen Fall eintreten.

Diese Aspekt wurde bereits beim Thema Denglish dargestellt.

3. Aber ist nicht ...

... wenigstens damit zu rechnen, daß die überregionale, ja globale Bedeutung des Englischen sich noch verstärken wird?

Bei dieser Frage muß man differenzieren. Es kommt wohl darauf an, welches „Englisch“ man meint.

Denn es gibt bereits heute mindestes 2 Englisch, die sich zudem immer weiter auseinander entwickeln.

  • Da ist zum einen das Englisch im engeren Sinne, also die englische Sprache, die in Büchern, auf Konferenzen, in wissenschaftlichen Publikationen, usw. gesprochen und geschrieben wird.

Es ist das Englisch von Oxford und Cambridge, von Yale und Princeton - also das Englisch der Gebildeten, das Englisch einer gewissen Elite.

  • Daneben gibt es aber auch das Englisch als Gebrauchssprache. Also die Sprache, die der Taxifahrer in Singapur, der Regierungsbeamte in Tokio oder die Krankenschwester in Sidney spricht.


Ein typisches Beispiel hierfür:

Die Aussprache der Diphthonge im australischen Englisch weicht stark von der englischen oder amerikanischen Aussprache ab (z.B. day: nicht [ei], sondern [a-i]

Die Patientin im Krankenhaus wird sich daher gar nicht freuen können, wenn die australische Krankenschwester zu ihr sagt:

„You’re going home today“

Denn die australische Krankenschwester spricht today nicht als „heute“ aus [to dei], sondern als to die [tu da-i], d.h. als „sterben“

4. In seiner ersten Funktion ...

... (als Medium der Informationsvermittlung zwischen Gebildeten) wird das Englische sicher seine überragende Bedeutung auch künftig behalten und u.U. noch ausbauen.

Denn der Grund für die weite Verbreitung des Englischen (das wirtschaftlich-wissenschaftliche Potential der USA) wird sicher auch weiterhin bestehen, zumal daß kein Grund dafür ersichtlich ist, daß ein anderes Land (und damit letztlich eine andere Sprache) in absehbarer Zukunft den USA den Rang ablaufen wird.

Möglicherweise werden also irgendwann nicht nur – wie derzeit – 80 % der wissenschaftlichen Publikationen auf englisch verfaßt werden, sondern 90 % und mehr. Und vielleicht werden internationale Konferenzen eines Tages nur noch in englisch gehalten werden, also ohne eine gleichzeitige Übersetzung in die Sprachen der Teilnehmer.

5. Dagegen ist bei der zweiten Funktion ...

... (Englisch als Gebrauchssprache) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine völlig andere Entwicklung zu erwarten.

In diesem Gebiet liegt naturgemäß der wesentlich größere Anwendungsbereiche einer Sprache, nämlich bei der Kommunikation im Alltagsleben zwischen Menschen, die Englisch nur unvollkommen gelernt haben (ohne oder mit unzureichender Schulausbildung)

  • es nur als Zweitsprache verwenden
  • oder in einem Kulturraum leben, in dem sich das Englische zu einer eigenen Varietät entwickelt hat.

Hier stellt sich nun die eingangs gestellte Frage: Wird das Englische auch in diesem Bereich seine überragende Bedeutung behalten oder gar ausbauen?

Mit anderen Worten: Werden nicht nur die Politiker, Wissenschaftler, Buchautoren, usw. auf ihren Konferenzen und in ihren Publikationen weltweit englisch reden und schreiben?

Sondern werden dies auch der Taxifahrer, der Regierungsbeamte und die Krankenschwester in Singapur, Tokio und Sydney tun ? Und zwar in einer Weise, daß der Taxifahrer in Singapur das Englisch seines japanischen Fahrgastes versteht?

Tatsächlich sind seit einiger Zeit Tendenzen erkennbar, die hieran mit gutem Grund zweifeln lassen.

Fast unbeachtet haben sich nämlich überall auf der Welt in den Gebieten, in denen Englisch nicht als Muttersprache gesprochen wird, im Laufe der Zeit eigenständige Formen herausgebildet, die z.B. die Bezeichnung Indian English oder Singapore English rechtfertigen.

Schon ein relativ kleines Werk wie der dtv-Atlas „Englische Sprache“ (Viereck/Ramisch, Beck Verlag, S. 152) zählt 58 Varietäten des Standard-Englisch auf: Tatsächlich sind es noch weit mehr.

Antipodean English British English Irish English Canadian English
Australian English BBC English American English Quebec English
Aboriginal English English English Network Standard Frenglish / Franglais
New Zealand English Scottish English Nortern Newfoundland Engl.
Maori English Scots Midland Athabascan English
Tok Psin Nom Southern Inuit English
Bislama Beach la Mar Welsh English Black English Vernacular Ukrainian English,.
usw. Ulster English Gullah usw
  Hiberno-English,. Appalachian  
  usw Indian English usw.  
       
Caribbean English African English South Asian English East Asian English
Jamaican Nation Language Nigerian English Indian English Hong Kong English
Barbadian / Bajan Ghanaian English Pakistani English Singapore English
Trinidadian Cameroon English Bangladeshi English Malaysian English
Bahamian Sierra Leone Krio Nepalese English Philippines English
Belizian West African Pidgin Sri Lanka English Japanese English
Gyanese Kenian English Burmese English Chinese English
Nicaraguan Ugandan English usw. usw
usw. Tanzanian English    
  Zambian English    
  Zimbabwean English    
  South African English    
  usw.    

Kein Geringerer als David Crystal

(Herausgeber der "Cambridge Encyclopedia of the English Language",
deutsche Ausgabe: Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache, Campus-Verlag)

faßt das Thema so zusammen:

"Es ist längst eine Tatsache, daß die englischsprachigen Staaten den Besitz der englischen Sprache aufgegeben haben. Es gibt kein Zurück. - Englisch ist eine Weltsprache."

Dieser Satz klingt seltsam: Warum betont Crystal, daß Englisch eine Weltsprache ist? – Ist sie das denn nicht schon längst?

Crystal meint damit folgendes: England hat den Besitz des Englischen verloren, weil es eine Weltsprache geworden ist. Das Englische gehört heute der ganzen Welt, und wird von ihr geprägt und entwickelt. Das „englische“ Englisch oder auch das Englisch der USA (in Wirklichkeit gibt es dort viele Varietäten des Englischen) sind nur noch regionale Dialekte des Englischen. Welches Englisch die Engländer oder die Amerikaner für richtig halten, interessiert in Singapur, Tansania oder Sri Lanka keinen Mensch.

In den USA und Großbritannien fragt man sich schon seit längerem: Haben die Briten oder Amerikaner die Entwicklung noch in der Hand? Ist Englisch überhaupt noch "ihre" Sprache, oder gehört es bereits der internationalen Gemeinschaft?

Die Entwicklung geht manchmal schon heute so weit, daß diejenigen, die Englisch als Zweitsprache sprechen, große Verständnisschwierigkeiten mit Zweitsprachlern aus anderen Ländern haben. Ganz besonders gilt dies für das in Indien und Afrika gesprochene Englisch.

Überall auf der Welt entstehen ständig Sprachmixturen aus der jeweiligen lokalen Sprache und dem Standard-English.

Dabei kann es zu regelrechten Sinnverschiebungen kommen. So bedeutet z.B. "to arrow" in Singlish (der in Singapur gesprochenen Englisch-Variante), jemanden zu einer Arbeit zwingen.
Im Standard-American-British-English bedeutet "arrow" aber „Pfeil“ (und nicht „Zwang“), und außerdem wird das Wort nur als Substantiv, nicht als Verb gebraucht.

Ein Beispiel, daß Begriffe in anderen Regionen eine andere Bedeutung (trotz gleicher Sprache) haben können, liefert das Wort „Barbie“. In den USA und Großbritannien bezeichnet man damit Puppen, in Australien verwendet man das Wort als eine allgemein gebräuchliche Abkürzung für „barbecue“.
Den Barbies kann man also Kleidchen anziehen, auf ihnen kann man aber auch grillen. Man muß also vorsichtig sein, wenn man andernorts vom leckeren Barbie-Fleisch erzählt.

Die Sprachmixturen führen letztlich dazu, daß es kein einheitliches Englisch geben wird, sondern eine Fülle von Varianten. Nach allen Erfahrungen werden sich diese zu eigenen Sprachen weiterentwickeln, zumal die einzelnen Länder - insbes. in Asien - teilweise über sehr hohe Sprecherzahlen verfügen (oft mehr als 50 Mio.), weshalb eine Weiterentwicklung der betreffenden Varietät zu einer eigenen Sprache als sehr wahrscheinlich erscheint.

Der Grund für die Entwicklung liegt darin, daß von den weltweit ca. 1, 4 Milliarden Menschen, die englisch sprechen, nur rund 350 Mio. Muttersprachler sind (also rund 25 %). Hinzu kommen noch einmal 350 Millionen Menschen, die Englisch als zweite Landessprache sprechen (weitere 25 %). 700 Mio. Menschen (also rund 50 %) kennen das Englische nur als Fremdsprache.

Läßt man die Primärsprachler Großbritanniens und Nordamerikas unberücksichtigt (rund 300 Mio. Muttersprachler), so bleiben weltweit gerade noch rund 50 Mio. Muttersprachler, und diese verteilt über die ganze Welt. Ihnen stehen über 1 Milliarde Sprecher des Englischen (also das 20-fache) gegenüber, die Englisch mehr schlecht als recht verstehen (die Sprecher der 2. und 3. Gruppe).

Bei diesen beiden nicht-muttersprachlichen Gruppen entstehen nun die sogenannten "Oral and Vernacular Englishes"(OVE). Das sind Mischungen aus der jeweiligen Muttersprachen, Standardenglisch, Werbeslogans und sonstigen Wortfetzen.

Viele Sprachwissenschaftler halten es für wahrscheinlich, daß OVE-Sprachen wie Singlish (in Singapur gesprochenes Englisch) sich zu neuen Nationalsprachen entwickeln, genauso wie das Englische, Deutsche und Französische im Mittelalter aus dem Lateinischen.

6. Wie aber kann sich die Welt verständigen, wenn das Englische in einen Haufen neuer Landessprachen zerfallen ist?

Wahrscheinlich wird sich einerseits eine Art Basic-English (mit einem reduzierten Wortschatz von rund 1500 Wörtern) entwickeln

Schon heute verwendet das US-Radioprogramm „Voice of America“ bei Nachrichten ein sog. „Spezial-English“ mit einem Basisvokabular von nur 1500 Worten, um sie für eine möglichst große Hörerschaft verständlich zu machen.

Daneben wird sich eine ausgefeilte Fachsprache bilden.

So gibt es im Flugverkehr schon lange das sog. "Airspeak", das angehende Piloten in mehrmonatigen Schulungen erlernen. Auch in der Seefahrt verwendet eine eigens kodifizierte Fachsprache, die "Standard Marine Communication Phrases". Fast jedes Fachgebiet hat seinen eigenen (englischen) Spezialwortschatz, u.a. auch die Informationstechnologie.

7. Fazit

Manches in der vorstehenden Darstellung war - zwangsläufig - ein wenig spekulativ. Sie entspricht jedoch dem gegenwärtigen Stand der Forschung.

Ich würde mich jedoch gerade zu dem vorliegenden Thema sehr über die Meinungen von Fachleuten freuen. Der Autor ist - ich betone dies immer wieder - kein Fachmann, sondern Autodidakt, der seine Freizeit der Linguistik gewidmet hat, und daher für jeden Hinweis auf Fehler oder andere Meinungen dankbar ist.

Nachstehend nochmals eine kurze Zusammenfassung:

  • Es gibt keine Weltsprache. Nur mehrere Weltsprachen
  • Es wird auch weiterhin ein Englisch der Wissenschaft, der Politik, der Wirtschaft, usw. geben, das auf Konferenzen gesprochen und in Büchern geschrieben wird. In diesem Bereich wird sich das Englische behaupten bzw. seine Bedeutung noch ausbauen.
  • Jenes Englisch, das 95 % der Weltbewohner außerhalb der USA und Großbritanniens verstehen, hat recht wenig zu tun mit dem, was Briten sprechen, und wird es immer weniger zu tun haben. Es ist ungleich simpler.

Dies ist jedoch die Sprache des Alltags, also die Verständigung zwischen dem ghanesischen Taxifahrer und dem australischen Fahrgast. Für mehr wird dieses reduzierte Basic-English mit seinen 1500 Wörtern nicht taugen.

  • Für komplexere sprachliche Anwendungen wird sich eine Vielzahl von Regionalsprachen entwickeln, die sich aus dem Standardenglisch, der jeweiligen Muttersprache, Werbeslogans und sonstigen Sprachfetzen zusammensetzen.

Diese Sprachen werden (insbesondere wegen der Anteils regionaler Wörter) gegenseitig unverständlich sein. (Vgl. die Parallelentwicklung bei den romanischen Sprachen, die ja auch nicht gegenseitig verständlich sind.