Einfluss der germanischen Sprachen

Der Einfluß der germanischen Sprachen auf das Lateinisch-Romanische war unterschiedlich.

Man unterscheidet 2 Phasen, in denen die germanischen Sprachen Einfluß auf die Galloromania (das in Gallien gesprochene Latein) genommen haben:

1. Zeit des römischen Reiches

Zum einen bewirkten die (friedlichen) Kontakte zu den germanischen Nachbarn, mit denen ein reger Handel stattfand und von denen auch viele in der römischen Armee Dienst leisteten, daß schon zu dieser Zeit (also noch während des Bestehens des Imperium Romanum) zahlreiche germanische Worte Eingang in den lateinischen Wortschatz fanden (sog. Adstrat, hierzu sogleich)

Der Einfluß der germanischen Sprachen auf das Galloromanische (das heutige Französisch) begann also bereits lange vor dem Zerfall des römischen Reiches und der Eroberung Galliens durch die Germanen.

2. Einfall der germanischen Stämme

Ungleich stärker waren die Einwirkungen der germanischen Dialekte und Sprachen nach dem militärischen Einfall der germanischen Stämme. Die germanischen Eroberer besiedelten die eroberten Gebiete und traten in langdauernden Kontakt zu der lateinisch-romanisch-sprachigen Bevölkerung.

Jedoch setzte sich - anders als 500 Jahre vorher bei der Besetzung des Gebietes durch die Römer - nicht die Sprache der Eroberer durch, sondern die Sprache der Besiegten.

Nach einer längeren Periode des Bilinguismus , in denen Latein-Romanisch und Fränkisch (bzw. Westgotisch oder Burgundisch ) nebeneinander gesprochen wurden, übernahmen die germanischen Besatzer und Besiedler die wesentlich prestigeträchtigere Sprache der Besiegten und gaben ihre eigenen Sprachen auf.

Die Sprachen der Sieger ging also unter, es dominierte weiterhin das Latein-Romanische, das jedoch während der jahrhunderte der Zweisprachigkeit naturgemäß von den germanischen Sprachen beeinflußt worden war (sog. Superstrat)

Exkurs:
Zur Darstellung der Vorgänge, die sich beim Aufeinandertreffen verschiedener Sprachen abspielen, verwendet man die Begriffe Substrat, Adstrat und Superstrat:

  • Als Adstrat bezeichnet man den Vorgang der gegenseitigen - meist friedlichen - Beeinflussung (z.B. durch Handel, Nachbarschaftskontakte, usw.),
  • als Substrat den Einfluß einer untergehenden Sprache (vor allem in der Übergangsphase des Bilinguismus) auf die die sich durchsetzende Sprache, und
  • als Superstrat umgekehrt den Einfluß, den die Sprache der “Sieger” (auch hier vor allem in der Übergangsphase des Bilinguismus) auf die Sprache der “Unterlegenen” ausübt, wenn sie sich nicht durchsetzt.

Hierzu jeweils ein Beispiel aus anderen Bereichen:

  • Als Adstrate könnte man die heutigen Anglizismen in der deutschen Sprache (gegenseitige Beeinflussung durch kulturelle, wirtschaftliche, politische und sonstige Kontakte) bezeichnen.
  • Ein Beispiel für Substrate wären bestimmte Indianerworte in Nord-, Mittel- und Südamerika, die trotz des Untergangs der betreffenden Indianersprachen Eingang in das Spanische, Portugiesische oder Englische gefunden haben .
  • Superstrate sind z.B. die arabischen Worte, die während der rund 600 Jahre dauernden arabischen Oberherrschaft über die iberische Halbinsel (in der sich die arabische Sprache nicht durchsetzen konnte) Eingang in die spanische und portugiesische Sprache gefunden hatten.

Und noch jeweils ein Beispiel aus der Entwicklung der französischen Sprache:

  • Adstrat: Die Beeinflussung durch friedliche Kontakte, wie Handel, Dienstleistungen, usw. während der Phase des Zusammenlebens der Gallier und Römer in den ersten 3 - 4 Jahrhunderten n. Chr.
  • Substrat: Die Einwirkung des Gallisch-Keltischen auf das Lateinische nach der Eroberung Galliens durch Cäsar (gleicher Zeitraum)
  • Superstrat: Der Einfluß der germanischen Sprachen auf das Lateinisch-Romanische der Besiegten bis zum Untergang bzw. der Aufgabe der germanischen Sprachen, insbes. des Fränkischen (5. bis 9. Jhdt.)

Wortschatz

Wörter der 1. Periode sind relativ selten. Hier einige Beispiele:

le savon Seife - ursprünglich ein Produkt aus Asche und Talg zum Blondfärben der Haare
la soupe Brotscheibe, über die Brühe gegossen wird - vgl. frz.: être mouillé/trempé comme une soupe: völlig durchnäßt sein
brun, fauve, gris braun, blaßgelb, grau - ursprünglich Farben der Pferde
bâtir bauen - Die Germanen bauten mit “Bast” = Flechtwerk, das mit Lehm beworfen wurde (vgl. das deutsche Wort “Wand” <winden)
garder behüten, bewachen, pflegen
le banc Bank

Wörter der 2. Periode sind ungleich häufiger. Sie stammen ganz überwiegend aus der fränkischen Sprache.

Geschichtliches:
Die Franken, ein westgermanischer Volksstamm aus dem Raum Köln/Worms/Speyer waren seit der Mitte des 3 . Jahrhunderts immer wieder über den Rhein nach Gallien in römisches Gebiet vorgedrungen. Teilweise als Bundesgenossen (foederati) im römischen Heer eingesetzt, besiegten sie unter ihrem Anführer Choldwig I. im Jahr 486 den letzten römischen Befehlshaber in Gallien, Syagrius, und beendeten damit endgültig die römische Herrschaft in Gallien.

Anschließend unterwarf er die anderen in Gallien eingedrungenen germanischen Volksstämme, so die Alemannen, die Burgunder, die Westgoten und die Rheinfranken. Im Laufe der Jahre dehnte sich das Reich der Franken immer weiter aus und erreichte seinen Höhepunkt unter Karl dem Großen, der im Jahr 800 von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt wurde

Nach verschiedenen Reichsteilungen unter Karls Nachfolgern entwickelte sich der linksrheinische Teil des Karolingerreiches zum Königreich Frankreich.

In sprachlicher Hinsicht ging dann alles sehr schnell: Auch die führende Schicht ging allmählich endgültig zum Galloromanischen über: So war Fränkisch noch die Muttersprache von Karl dem Großen (Charlemagne); er ließ sogar noch eine fränkische Grammatik schreiben. Doch schon 100 Jahre später war die fränkische Sprache bedeutungslos geworden: Hugo Capet, der 947 König wurde, beherrschte das Fränkische nicht mehr; er sprach nur noch “Altfranzösisch”

Die Franken waren von ganz wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung des gallo-romanischen Sprachgebiets; sie gaben dem Land sogar ihren Namen: La France < Frantia - Frank(en)reich, das allerdings zunächst nur das Gebiet der Ile-de-France, also das Gebiet um Paris erfaßte. Im Ostteil des Reiches überlebte der Name Franken als Bezeichnung für die Rhein-Main-Region.

Dabei nimmt der Grad der Beeinflussung allerdings von Norden nach Süden deutlich ab. So wird das heute flämische Gebiet Belgiens gänzlich germanisiert, Die anschließenden Gebiete erfahren einen starken fränkischen Einfluß, wobei das romanische aber erhalten bleibt, und der Sünden erfährt nur geringe fränkische Superstratwirkungen. Im Bereich der heutigen Provence (Okzitanien) ist der germanische Einfluß praktisch kaum bemerkbar.