Vorstufen
Die Schrift in ihrer heutigen Form hat eine lange Entwicklung hinter sich.
Seit es Menschen gibt, benutzen diese zahlreiche Methoden, um Botschaften zu übermitteln, seien es Zeichnungen, Zeichen oder Bilder. Man denke nur an die Höhlenmalereien, die bis in die ältere Steinzeit zurückreichen
Aber von einer Schrift im eigentlichen Sinne kann man erst sprechen, wenn sich ein Bestand von festgelegten Zeichen oder Symbolen herausgebildet hat, mit deren Hilfe man fähig ist, alles das, was man denken, fühlen oder sagen kann, eindeutig festzulegen.
1. Erste Vorstufen ...
... der Schrift waren möglicherweise die Ritzzeichnungen, die die steinzeitlichen Menschen in den Höhlen Südfrankreichs, Spaniens und anderswo hinterlassen haben.
Die Forschung ist sich über den Grund und die Bedeutung der Ritzzeichnungen und Malereien bislang nicht einig. Eine endgültige Klarheit wird möglicherweise auch niemals zu erzielen sein.
Überwiegend geht man jedoch davon aus, daß es sich um Beschwörungen oder sonstige mystische Botschaften an Naturgötter, möglicherweise auch um Mitteilungen an andere Stämme gehandelt haben könnte. Es würde sich also um Mitteilungen handeln, die einen bestimmten Inhalt verkörpern und die von einem Adressaten auch verstanden werden könnte, sofern er die entsprechende Sachkunde besitzt.
Dies wäre beispielsweise bei dem „Medizinmann“ oder dem Anführer der Horde oder einem anderen Zeichner des gleichen oder eines anderen Stamms der Fall.
Daß wir heutigen Menschen diese „Mitteilungen“ heute nicht mehr verstehen, stünde der Annahme, daß es sich hierbei um eine Botschaft in einer primitiven „Schrift“ handelt, nicht entgegen.
Denn daß der „Leser“ der Botschaft fachkundig sein muß, also über den Inhalt und die Bedeutung der Nachricht bzw. der Schrift informiert sein muß, ist eigentlich selbstverständlich. Beispielsweise könnte auch ein heutiger gebildeter Mitteleuropäer z.B. die chinesische oder japanische Schrift ohne eine entsprechende Vorbildung und Fachkunde nicht lesen und verstehen.
Trotzdem wird niemand ernsthaft bezweifeln, daß es sich beim Chinesischen und Japanischen um Schriften handelt, nur weil er sie nicht lesen und verstehen kann. Ihm fehlen eben nur die Vorkenntnisse hierfür. Wenn er sich diese aneignen würde, wäre er in der Lange, diese Sprachen zu verstehen.
Gleichwohl nehmen wir nach dem heutigen Stand der Forschung an, daß es sich bei den steinzeitlichen Risszeichnungen und Malereien nicht um eine Schrift, sondern äußerstenfalls um eine frühe Vorstufe handelt.
Denn niemand kann es sich ernsthaft vorstellen, daß die Menschen der Eiszeit eine Schrift erfunden haben, (vielleicht sogar ein Alphabet!), das später verloren gegangen ist. Wir wissen ja nicht einmal sicher, ob die Höhlenmaler richtig sprechen konnten (wie die meisten Wissenschaftler vermuten).
Andererseits ist es aber auch schwer zu glauben, daß Künstler mit einer solchen Vitalität und Ausdruckskraft unfähig zu einer begrenzten schriftlichen Kommunikation waren. - Vgl. hierzu das Beispiel oben links (Bogenschützen) aus einer spanischen Höhle, ca. 10.000 vor Chr., die den Übergang zu einer Bilderschrift darstellt.
Aus diesem Grund nennt man die Zeichen der Eiszeit und ähnliche Symbole “Vorstufen der Schrift”.
2. Weitere Vorstufen ...
...der Schrift waren die sog. calculi , die man schon seit der Steinzeit aus Grabungen kennt. Es handelt sich (Bild) 1/12 um kleine Steinchen oder Tonstückchen mit eingravierten geometrischen Inschriften, die wohl als Zählhilfen dienten.
Das Wort calculi leitet sich ab von calculus (Plural calculi), lat. Kieselstein. Hieraus hat sich das französische Wort calcul (Rechnen, Rechnung) und das deutsche kalkulieren entwickelt.
Die Größe einer Herde oder die Anzahl von Fellen konnte so durch eine Sammlung von Zählsteinen repräsentiert werden, ebenso wie vieles anderes, was in Einheiten auftrat.
Lange danach – aber noch vor der Ausbildung der Schrift selbst – wurden die Ausdrucksmöglichkeiten dieses Hilfsmittels vermutlich dadurch erweitert, daß man gewissen Formen solcher Zählsteine ganz bestimmte Zahlwerte zuwies, die in einem bestimmten System zueinander standen.
Ein runder Zählstein mag daher den Zahlenwert „1“ gehabt haben, ein Dreieck könnte den Wert „5“ besessen haben, und ein viereckiges Tonstück mag „10“ bedeutet haben.
Da solche Zählsteine bisher immer nur einzeln und ohne Kontext gefunden wurden, ist es allerdings nicht möglich, diese Systeme zu bestimmen und damit den Zahlenwert der Steine festzulegen.
Zählsteine finden sich auch in der Zeit vor und gleichzeitig mit dem Aufkommen der Schrift. Interessant dabei ist, daß sie in Form oder Innenzeichnung teilweise späteren Schriftzeichen ähneln. Auch hier fehlt allerdings der Kontext, der ein möglicherweise dahinterstehendes System erkennen ließe.
Zweifellos handelte es sich jedoch ebenfalls um frühe Kontrollsysteme der Wirtschaft. Allerdings vermochten sie nur begrenzte Aspekte festzuhalten, nämlich die Menge und vielleicht auch die Art der Objekte (z.B. Brotlaibe, Felle, Ölkrüge).
3. Als letzte Vorstufe ...
... vor der Schrift tauchten dann zum ersten Mal die Gattung der Rollsiegel auf.
Dabei handelt es sich um kleine Steinzylinder, in deren Mantelfläche Darstellungen oder geometrische Muster eingraviert sind, so daß beim Abrollen auf feuchtem Ton ein Reliefband entsteht.
Die Darstellungen auf den Siegeln zeigen von Anfang an eine große Vielfalt. Dieser Umstand sowie ihre Verwendung auf Verschlüssen aller Art zeigt ihren Sinn:
Mit dem Anbringen eines Siegelabdrucks auf einem Verschluß wurde dieser vor Manipulationen durch Dritte geschützt und eine Art Garantie für den Inhalt des Behältnisses abgegeben. Gleichzeitig wurde dieses einem bestimmten Berechtigten (dem Siegelanbringer) zugeordnet.
Auch die Siegel waren somit ein Kontrollmittel der Wirtschaft. In seinen Ausdrucksmöglichkeiten blieb es jedoch immer noch weit hinter der Schrift zurück