Buchstaben mit anderer Bedeutung?
Buchstaben, die plötzlich etwas ganz anderes ausdrücken?
Dies mag auf den ersten Blick etwas überraschen. Sind wir es doch gewohnt, einem bestimmten Buchstaben einen bestimmten Lautwert zuzuordnen, also z.B. den Buchstaben -g- mit dem Lautwert [g] auszusprechen. Und würden uns sehr wundern, wenn das -g- plötzlich als [sch] ausgesprochen werden würde.
Aber vergessen wir dabei eines nicht: Es ist letztlich eine reine Übereinkunft (!) zwischen den Sprechern und Schreibern einer bestimmten Sprache (z.B. des Deutschen, Französischen, usw.), wie man ein bestimmtes Symbol ausspricht.
Es ist also eine reine Definitionsfrage, und kann in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedlich sein.
Und ist es auch! Genau das, was vorstehend geschildert wurde, haben wir in unserer eigenen Sprache sehr oft getan:
Beispiele:
- Man vergleiche nur die Aussprache des ersten Buchstabens -g- und des zweiten -g- in dem französischen Lehnwort Garage!
Das gleiche Symbol -g- hat hier (im gleichen Wort!) 2 völlig unterschiedliche Lautungen! - Oder (besonders extrem) die heutige Aussprache des Englischen gegenüber der Zeit vor nicht einmal 1.000 Jahren. Obwohl die Schreibweise im wesentlichen gleich geblieben ist, würde ein Besucher aus der Vergangenheit sein damaliges Englisch (von der Aussprache her) kaum noch wiedererkennen.
- Oder ein letztes Beispiel: Im Deutschen gibt es wesentlich mehr Laute, als Symbole (Buchstaben) zur Verfügung stehen, um sie zu schreiben.
Dies betrifft beispielsweise die gedehnten Vokale (vgl. die unterschiedlichen Laute für [i] in bieten und bitten).
Oder die Zisch- und Rachenlaute (z.B ch, sch). Wobei das - ch - noch 2 verschiedene Lautwerte abzudecken hat (vgl. die - gleich geschriebenen - unterschiedliche Lautwerte in ich und ach)
In dieser Situation hätte man nun entweder zusätzliche neue Symbole aufnehmen können, wie es z.B. in der kyrillischen Schrift auch tatsächlich der Fall war (vgl. die vielen verschiedenen Buchstaben für die z.B. im Russischen häufigen -sch- Laute: sch ж , tsch Ч , sch ш , schtsch щ )
Hierbei hätte sich der Bedarf an Buchstaben jedoch extrem erhöht, und der große Vorteil einer Buchstabenschrift (nur relativ wenige Zeichen) wäre z.T. wieder verloren gegangen.
Man hat sich statt dessen dadurch geholfen, daß einzelnen Zeichen eine bestimmte Bedeutung zugewiesen wurde, die die Aussprache eines Buchstabens in der Nähe des Zeichens verdeutlichte, wobei das Zeichen selbst nicht mitgesprochen wird.
Beispiele hierfür sind die diakritischen Zeichen, z.B. das Cedille und die Akzente im Französischen und anderen romanischen Sprachen, aber auch das “Dehnungs-h” und das “Dehnungs-e” im Deutschen.
Neben der primären Funktion der Buchstaben -e- und des -h- als Laut erfüllen diese beiden Zeichen noch eine andere, zweite Aufgabe, bei der sie dann nicht gesprochen werden, sondern nur die Aussprache eines anderen Buchstaben anzeigen, diesen also sozusagen unterstützen.
Man muß also (vereinfacht) lernen:
- Die Buchstaben -e- und -h- haben einen bestimmten Lautwert, nämlich [e] und [h].
- Stehen diese Buchstaben aber hinter einem anderen Vokal, werden sie nicht gesprochen, sondern verändern lediglich den Lautwert des vorangegangenen Vokals. Sie bedeuten dann nur, daß der vorangegangenen Vokal lang ausgesprochen wird.
Nichts anderes haben die antiken Schreiber getan, indem sie bei der Übernahme eines fremden Alphabets dieses an die Bedürfnisse und Eigenheiten ihrer eigenen Sprache angepaßt haben.
Und z.B. festgelegt haben, daß das Zeichen - F - (das archaisch-griechische "Digamma", das es im klassischen Griechisch nicht mehr gab und das in der archaischen Zeit wie - w - ausgesprochen wurde) in ihrer Sprache (Latein) nicht [w], sondern [f] ausgesprochen werden soll.
Ähnliches ist in sämtlichen Schriftsystemen der Welt sehr häufig geschehen. Denn die Zuordnung eines Buchstabens zu einem Laut ist, wie wir am Beispiel des deutschen “Dehnungs-e” und “Dehnungs-h” gesehen haben, eine reine Definitionsfrage.