Französische Sprache: Verneinung

Eine Eigenart der französischen Sprache ist die - ungewöhnlich erscheinende - Verneinungsform des Verbs (ne ... pas, usw.), die es in keiner anderen romanischen Sprache gibt

Diese Form erklärt sich jedoch problemlos aus der Entwicklung der Negation vom Latein zum Französischen:

1. ne

Das lat. non blieb in betonter Stellung unverändert (frz. non) . In unbetonter Stellung änderte es sich geringfügig zu frz. ne

(vgl. im Deutschen: hochdeutsch nein > dialekt. nee)

Auf dem Wege zum Neufranzösischen entwickelt sich die Verteilung dieser Formen dahingehend, daß "ne" nur mit Verben gebraucht wird.

(il ne chante pas; il ne voit rien/ personne)

und "non" in allen anderen Fällen", z.B.

  • Zum einen vertritt non „isoliert“ (als nein) – wie im Deutschen – negierte Sätze (z.B. Tu viens? – Je ne viens pas = non),
  • kann aber auch nicht-verbale Satzteile verneinen: non seulement, non loin de Paris, usw., wobei es heute jedoch zunehmend von pas verdrängt wird.
  • Außerdem kommt es als Präfix vor, z.B. non-fumeur.

Bis ins 17. Jh. war auch beim Verb noch eine betonte Verneinung mit non möglich: Non ferai! 'Das werde ich nicht tun!'

2. pas

Schon im Vulgärlatein wurde die Negation verstärkt durch Substantive, die eine kleine Einheit beinhalten

z.B. bei Petronius: non micam panis 'keine Krume Brot' –  vgl. im Deutschen: „Wir werden nicht einen Fußbreit zurückweichen“, „Wir werden nicht einen cm nachgeben“; „Daran habe ich nicht eine Sekunde geglaubt“, u.ä.

Solche Substantive waren insbes. passum 'Schritt', punctum 'Punkt' und micam 'Krume', aus denen sich pas, point und mie entwickelten.

Sie wurden zunächst zur Verstärkung und mit thematisch passenden Verben gebraucht, passum also mit Verben der Bewegung.

Vgl. hierzu die vorstehenden Beispiele aus dem Deutschen: Die dortigen Ergänzungen dienen zum einen der Verstärkung, außerdem passen sie semantisch zum jeweiligen Verb (cm und Fußbreiten: Entfernung - Sekunde: zeitlich) Umgekehrt würde es nicht passen („Daran habe ich keinen Fußbreit geglaubt“)

Spätestens aber zu der Zeit, als diese Wörter zum ersten Mal als Verneinungspartikeln schriftlich belegt sind (am Anfang des 12. Jh.), hatten sie ihre ursprüngliche Bedeutung bereits völlig verloren und wurden unterschiedslos mit sämtlichen Verben verwendet.

Während die doppelte Verneinung mit ne ... pas, ne ... mie, usw. im Altfranzösischen noch besonders betont war (so wie heute z.B. pas du tout), verliert sie diese Funktion in der folgenden Zeit völlig:

  • Im Altfranzösischen ist die doppelte Verneinung noch fakultativ, nur 25-30% der Negationen wurden mit pas, point, mie gebildet.
  • Im Mittelfranzösischen steigt die Frequenz der doppelten Verneinung stark an,
  • und im 17. Jhd. ist der heutige Zustand erreicht,
  • seither ist die Entwicklung eher rückläufig (einzelne (Hilfs-)verben bilden die Verneinung ohne pas)

Übrigens ist das Französische die einzige romanische Sprache, die eine doppelte (redundante) Verneinung entwickelt hat.

Das Verhältnis der Partikeln zueinander:

Der Gebrauch der Partikeln mie und pas (die allerdings auch in vielen Texten nebeneinander vorkommen) war regional unterschiedlich: mie wurde vorwiegend im Norden und Osten gebraucht (heute würde man sagen: in der Provinz), pas dagegen im Zentrum einschließlich Paris. Es ist daher nicht verwunderlich, daß mie allmählich verschwand und heute nur noch als Substantiv (la mie Brotkrume) existiert.

Zwischen pas und point bestanden im Altfranzösischen (und bis zum 19. Jhdt.) geringfügige Unterschiede, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Heute gilt point einerseits als hochliterarisch bzw. leicht archaisch, andererseits als "regional", "provinziell", "ländlich", was sich mit der Beobachtung vereinbaren läßt, daß point auch im gesprochenen Französisch in Kanada völlig geläufig ist.

Die zeitliche Entwicklung:

Die Verwendung des ne ist offensichtlich auf dem Rückzug:

  • Seit der Renaissance (also dem 15. Jhdt.) ist das gelegentliche Fehlen von ne in Frage- und Konditionalsätzen zu beobachten.
  • Ab dem 17. Jh. wird ne auch in anderen Konstruktionen weggelassen.
  • Seit dem 19. Jh. ist ein zunehmender Ausfall von ne im gesprochenen Französisch vor allem der unteren Sozialschichten festzustellen.
  • Auswertungen von mündlichen Texten der Gegenwartssprache zeigen, daß der Ausfall von ne sich ständig weiter ausbreitet, so daß es eines Tages ganz aus dem Sprachgebrauch verschwinden könnte.

Der Sprachwandel läßt sich etwa wie folgt systematisch darstellen:

1. Klassisches Latein: non Verb  
2. Alt- und Mittelfranzösisch: ne Verb (pas etc.)
3. Klassisches Französisch: ne Verb pas etc.
4. Modernes Französisch: (ne) Verb pas etc.
6. Französisch der Zukunft:   Verb pas etc.

Mit der Stufe 3 wird das ne redundant. Dies ist wohl der Hauptgrund dafür, daß es (da überflüssig) ausfallen kann und möglicherweise verschwinden wird.

Entstehung weiterer Partikel:
Außer pas, point gibt es eine Reihe weiterer Negationspartikeln, wie z.B. personne, rien, jamais, usw.

Sie sind teilweise aus Substantiven, teilweise aus Adverbien oder Determinanten (aucun) entstanden

personne (niemand) persona Substantiv
rien (nichts) rem Substantiv
jamais
(ja-mais)
(niemals) iam magis Adverb

Die Negationspartikeln hatten ursprünglich eine positive Bedeutung (so noch häufig im Altfranzösischen)! Durch die ständige Verwendung in negativen Kontexten haben sie dann aber selbst eine negative Bedeutung angenommen: personne 'niemand'; rien 'nichts'; usw.

Die ehemalige positive Bedeutung hat sich noch in einigen Wendungen erhalten, z.B. à jamais 'auf immer'; sie zeigt sich heute auch noch darin, daß die Partikel - mit Einschränkungen - kombiniert werden können, ohne daß die Negation aufgehoben wird: ne ... jamais plus, plus rien"