Beispiel eines Sprachgenies

Legationsrat Emil Krebs
geb. 15.11.1867 Freiburg/Schlesien, gest. 31.03.1930 Berlin

Der Sinologe Emil Krebs gilt auch heute noch als eines der größten Sprachwunder weltweit. Er beherrschte bis zu seinem Tod mindestens 68 Sprachen in Wort und Schrift (!) und befaßte sich darüber hinaus mit insgesamt 120 Sprachen.

Die Aufzeichnungen zu seiner einmaligen Privatbibliothek dokumentieren 3.013 Inventarpositionen mit ca. 5.700 Schriften und Büchern auf ca. 1.1 Mio. Seiten in 120 Sprachen.

Sein Lebensweg zeigt, daß Emil Krebs ein umfassend gebildeter Mensch war und daß seine herausragende Sprachbegabung wohl nicht als Inselbegabung zu werten ist und daß er auch nicht als Savant zu bezeichnen ist.

Bereits in der Volksschule fand Krebs über ein Vokabelheft zufälligen Kontakt zur französischen Sprache, ohne jedoch die richtige Aussprache zu kennen. Sein damaliger Lehrer erkennt seine sprachlichen Neigungen und fördert ihn. Beim Wechsel zum Gymnasium wählt er alle 4 auf dieser Schule angebotenen Sprachen (Latein, Griechisch, Französisch und Hebräisch) und wird im Abiturzeugnis von 1887 in diesen Fächern mit "gut" und "sehr gut" bewertet.

Daneben beschäftigt er sich autodidaktisch noch während der Schulzeit zusätzlich mit 8 weiteren Sprachen, nämlich Neu-Griechisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Polnisch, Arabisch und Türkisch. Als er am 17. März 1887 als 19-jähriger das Gymnasium verlässt, sind ihm bereits 12 Sprachen geläufig.

Sein Jurastudium in Berlin beendet er nach nur 6 Semestern mit "gut" und studiert gleichzeitig Chinesisch, das er nach nur 2 Jahren ebenfalls mit gutem Erfolg abschließt. Das Studium des Türkischen und Arabischen schließen sich an.

Nach einer kurzen Tätigkeit als Gerichtsreferendar wechselt er zum Auswärtigen Amt und wird als Dolmetscher zur Botschaft in Peking abgeordnet. Seine vorzüglichen Kenntnisse in Chinesisch und bald auch in Mandschurisch, Mongolisch und Tibetisch lassen ihn bis zum Chefdolmetscher aufsteigen.

Die Chinesen schätzen seine überragende Autorität auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft. Sogar Muttersprachler und chinesische Autoritäten ziehen ihn in Fragen ihrer eigenen Sprachen zu Rate. Sie wissen, dass er eine erstklassige Kapazität als chinesischer Sprachkenner ist, "ein Phänomen", "eine polyglotte Berühmtheit", wie ihn der spätere Botschafter Otto von Hentig in seinem Buch "Mein Leben, eine Dienstreise" nennt. Von Hentig führt weiterhin aus: "Krebs war ein Phänomen. 1912 beherrschte er 32 Sprachen, nicht in der Art, wie es die Vielsprachler von sich behaupten, sondern ebenso elegant und gut das Arabische wie das Russische oder Italienische."

Nach fast 25 Jahren muss Krebs 1917 wegen der Kriegsereignisse China verlassen. Bis zu seinem Tode am 31.3.1930 arbeitet er als Dolmetscher und Übersetzer im Sprachendienst des Auswärtigen Amtes. Hatte er bereits während seiner Tätigkeit in China viele Sprachen hinzugelernt, so beschäftigt er sich ab dieser Zeit mit den restlichen, noch nicht beherrschten europäischen Sprachen.

Seine Vielsprachigkeit veranlasste den damaligen Leiter des Sprachendienstes einmal zu dem Ausspruch "Krebs ersetzt uns 30 Außenmitarbeiter".

Dieser Ausspruch lässt nicht nur erkennen, welch umfassendes Gebiet der seltsame Legationsrat beherrscht, sondern auch welch gewaltiges Arbeitspensum dieser Mann zu bewältigen mag. Und dennoch findet Krebs Zeit und Kraft, sich an neue Aufgaben heranzumachen, vergleichende Sprachstudien zu treiben, sich z.B. in die Literatur, Gesetze, usw. fremder Nationen zu vertiefen.

Seine tägliche Arbeitszeit im Anschluss an seine offizielle Dienstzeit beim Amt endet gewöhnlich erst in der späten Nacht oder aber sogar am frühen Morgen. Besuche empfängt er nur ungern, deshalb befindet sich in seinem Arbeitszimmer auch keine zusätzliche Sitzgelegenheit. Seine Frau unterstützt ihn in dieser Hinsicht dergestalt, dass sie unliebsame Gäste mit der Bemerkung "Mein Krebs'chen lernt gerade burjätisch" abweist.

Krebs selbst äußert sich (im Jahr 1914) wie folgt zu den Sprachen, die er zu dieser Zeit beherrschte:

"Ich bin fähig, Übersetzungen in das Deutsche aus folgenden Sprachen anzufertigen:

I. Europäische II. Asiatische
Armenisch Arabisch
Böhmisch Chinesische
Bulgarisch Hindi
Dänisch-Norwegisch Javanisch
Englisch Japanisch
Französisch Malaiisch
Finnisch Mandschurisch
Georgisch Mongolisch
Griechisch Persisch
Holländisch Siamesisch
Italienisch
Kroatisch
Litauisch
Polnisch
Russisch
Schwedisch
Serbisch
Rumänisch
Spanisch
Türkisch
Ungarisch

Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Ungarisch, Chinesisch beherrsche ich außerdem derartig, dass ich aus dem Deutschen in diese Sprachen korrekt Übersetzungen anzufertigen im Stande bin.

Auch im Finnischen habe ich soviel Übung, dass ich mir zutrauen kann, aus dem Deutschen ins Finnische Übersetzungen anzufertigen, die den Sinn des Deutschen verständlich wiedergeben.

Die klassischen Sprachen Lateinisch, Griechisch, sowie das Bibelhebräisch, habe ich im Vorstehenden, als kaum in Frage kommend, unerwähnt gelassen."

Soweit die Beurteilung von Krebs selbst. Hierbei muß man berücksichtigen, daß es einen erheblichen Unterschied ausmacht, ob man eine Sprache beherrscht, sprechen oder lesen kann, oder ob man fähig ist, korrekte Übersetzungen als geprüfter Dolmetscher anzufertigen.

Auffallend ist, dass er Dänisch und Norwegisch als so nahe verwandt ansieht, dass er sie als eine Sprache anrechnet. Außerdem hat er Koreanisch nicht erwähnt.

Bis zu seinem Tode verbleiben nach der Rückkehr aus China weitere 16 Jahre, in denen Krebs seine Sprachkenntnisse erweitert. Die Sprachen der heutigen EU waren ihm geläufig. In dieser Zeit kamen die bisher nicht genannten Idiome hinzu:

Ägyptisch, Albanisch, Baskisch (mit Dialekten Guipuzkoa, Bizkaya, Laburdi, Zubero), Birmanisch, Estnisch, Katalanisch, die Keilschriften Sumerisch, Assyrisch, Babylonisch, Koptisch, Sanskrit, Suaheli, Syrisch, Tartarisch und Tibetisch.

Im Zusammenhang mit der türkischen Sprache sind auch Uzbek-Türkisch, Azerbaijan-Türkisch und Türkisch in armenischer Schrift zu nennen.

Bei weiteren ca. 50 (hier nicht aufgeführten Sprachen) ist anhand der Übersichten ableitbar, dass sich Krebs hiermit nur oberflächlich beschäftigt hat, da lediglich Wörterbücher, Grammatikbücher und einzelne Romane oder ähnliche Schriften vorhanden sind.

Der Indologe Prof. Helmuth von Glasenapp, für einige Zeit Kollege von Krebs beim Sprachendienst des Auswärtigen Amtes in Berlin, schreibt über ihn:

"Sein Hobby war es, neue Sprachen zu erlernen und die früher erlernten immer wieder zu repetieren. Das letztere machte er in der Weise, dass er sich z.B. am Montag mit dem Türkischen, am Dienstag mit dem Chinesischen, am Mittwoch mit dem Griechischen beschäftigte und so fort. .... Wenn im Auswärtigen Amt ein Schreiben in einer Sprache, die er noch nicht kannte, eintraf, erbot er sich, sie innerhalb von wenigen Wochen zu erlernen."

Seine zu Sprachstudien herangezogenen Schriften und Bücher belegen, dass er nicht allein über Deutsch Fremdsprachen erlernte, sondern seine bereits beherrschten Sprachen z.T. als "Zweitsprache" einsetzte, teilweise die Muttersprache gar nicht heranzog:

Ausschließlich über Englisch erlernte er Afghanisch, Birmanisch, Gujarati, Hindi, Irisch, Singhalesisch, Portugiesisch, über Russisch die Sprachen Burjätisch, Finnisch, Tartarisch, Ukrainisch, ausschließlich über Spanisch erarbeitete er sich das schwierige Baskisch; dabei befasste er sich gleichzeitig mit den Dialekten Guipuzkoa, Bizkaya, Laburdi und Zubero.

In diesem Zusammenhang seien auch weitere Dialekte genannt: (z.B. Altenglisch, chinesische Umgangsprache, Pekinger und Shanghaier Dialekt, Kalmückisch, Ordoss, Sardisch, Toskanisch, usw.). Als "Zweitsprache" neben Deutsch verwendete Krebs zum Erlernen und Vertiefen einer neuen Sprache vorwiegend Englisch, Französisch, Russisch, Chinesisch, Griechisch, Italienisch, Türkisch, Latein, Spanisch, Arabisch und Niederländisch.

Krebs war aber auch ansonsten ein umfassend gebildeter Mann, insbesondere in den Naturwissenschaften. Obwohl er im letzten Schuljahr von der Teilnahme am Mathematikunterricht befreit worden war, erhielt er auf dem Abschlusszeugnis ein "sehr gut" mit dem zusätzlichen Hinweis "beschäftigte sich mit gutem Erfolge privatim mit mathematischen Disziplinen, die jenseits des Gymnasialziels liegen.

Seine Allgemeinbildung hat Krebs - trotz seiner Sprachstudien - Zeit seines Lebens nie vernachlässigt. In seinem Nachlaß fanden sich umfangreiche Bücher, u.a. über Sprachen, Jura, Mathematik, Naturwissenschaften, u.v.m.

Seine umfangreiche Hinterlassenschaft belegt, daß Emil Krebs ein umfassend gebildeter Mensch war und seine herausragende Sprachbegabung nicht als Inselbegabung zu werten ist. Schon gar nicht ist er als Savant zu bezeichnen.

Nähere Einzelheiten, insbesondere auch Nachweise zu den obigen Angaben (eigene Sprachauflistungen von Krebs, Inventurliste seiner Bibliothek, Schriftstücke seiner Ehefrau, Personalakte des Auswärtigen Amtes und Aussagen bedeutende Zeitzeugen, u.v.m.) hat sein Großneffe, Herr Eckhard Hoffmann, Potsdam zusammengestellt, auf dessen Manuskript auch der vorliegende (gekürzte) Beitrag zurückzuführen ist, für den ich mich ganz herzlich bedanke.

Für Rückfragen hinsichtlich des Lebens und Wirkens von Emil Krebs steht Herr Eckard Hoffmann gerne zur Verfügung.