Ausbreitung des Lateinischen

Vor 2500 Jahren war Latein nichts anderes ein Dialekt eines unbedeutenden Stadtstaates am Tiber in Mittelitalien, wo sich ein westlicher Zweig der Indogermanen (die sog. Proto-Latiner) niedergelassen hatten.

1.

In den folgenden ca. 2.000 Jahren entwickelten sich die (miteinander eng verwandten) Dialekte der Apenninenhalbinsel sehr stark auseinander. Der latinische Dialekt (das spätere Lateinisch) wies schließlich eine so ausgeprägte Individualität auf, daß er sogar gegenüber seinen unmittelbaren Nachbarn, den “italischen Dialekten” Oskisch und Umbrisch eine eigenständige Sprache darstellte, d.h. eine gegeneitige Verständlichkeit nicht mehr gegeben war.

Die ältesten größeren Werke (die Komödien des Plautus) stammen aus dem 3. Jh. vor Chr. Sie unterscheiden sich kaum von den folgenden Werken der klassischen römischen Zeit. Wann genau sich die einzelnen latinischen Dialekte seit der Ankunft der Indogermanen derart auseinander entwickelt haben, läßt sich daher nicht mehr zuverlässig feststellen. Man geht jedoch davon aus, daß die Trennung innerhalb der latinischen Dialekt erst nach der Ankunft der “Proto-Latiner” auf der Apenninenhalbinsel erfolgt war.

Fest steht jedoch, daß sich das Lateinische in der Zwischenzeit von einem indogermanischen Dialekt zu einer eigenen Sprache entwickelt hatte, die sich bspw. so stark von der Sprache im nördlich unmittelbar angrenzenden Gebiet der Etrusker unterschied, daß das Etruskische bis zum heutigen Tag nicht übersetzt werden konnte!

2.

Zusammen mit der Ausdehnung des Staatsgebietes durch Eroberungen breitete sich auch die Sprache zuerst auf das benachbarte Latium, dann auf ganz Italien aus.

Die anderen verwandten italischen Dialekte (vor allem das Etruskische in der heutigen Toscana, das Keltische in der Lombardei und das Griechische in Süditalien und Sizilien) wurden von der Sprache der Hauptstadt überschwemmt und verdrängt.

Und in recht kurzer Zeit - innerhalb weniger Generationen - wurden die einheimischen Sprachen in fast allen eroberten Gebieten vom Lateinischen vollständig verdrängt. Die militärischen Eroberungen der Römer trugen das Latein nach Nordafrika, in die Iberische Halbinsel, quer durch Gallien nach Britannien, an den Rhein und im Osten bis zur Donau.

Dabei zwangen die römischen Herren ihren Untertanen ihre Sprache nie mit Gewalt auf. Eine Sprachpolitik, wie sie von modernen europäischen Staaten betrieben wurde und noch betrieben wird, war ihren imperialistischen Bestrebungen fremd.

3.

Der Grund, daß sich das Lateinische in den eroberten Gebieten relativ schnell durchgesetzt hat, war ein ganz anderer:

Da Latein die Verwaltungssprache war, bedeutete Kenntnis des Lateins Aussicht auf Beförderung und soziale Besserstellung. Hierauf richtete man sich ein.

  • So dürfen wir annehmen, daß ein Gallier oder Spanier, der in der Kolonie zu Rang und Stand gelangen wollte, in erster Linie Latein lernte.
  • Das breite Volk übernahm die kräftige Umgangssprache der römischen Soldaten, der kleinen Beamten, der Handelsleute, Ansiedler und Sklaven. Also der Menschen, mit denen er ständig zu tun hatte.
  • Die Söhne der gallischen Häuptlinge wurden auf den vornehmen Schulen und Erziehungsanstalten, die in Marseille, Autun, Bordeaux und Lyon aufblühten, in die verfeinerte Sprache der römischen Herrscher eingeführt.

Außerdem hatte das Lateinische ein wesentlich höheres Prestige als der jeweilige regionale Dialekt. Es war die Sprache der Weltstadt Rom - und nicht der Dialekt eines gallischen oder spanischen Provinzdorfes.

Die Ursprungssprachen gingen jedenfalls völlig unter. Im gesamten Reich wurde Latein gesprochen.

4.

Im gesamten Reich? Nein! - Es gab 3 Ausnahmen.

Nur die Sprachen Britanniens und Germaniens sowie das Griechische entgingen diesem Schicksal.
Das hatte jeweils unterschiedliche Gründen:

  • Britannien war eine zu weit entfernte Insel. Darüber hinaus war sie klimatisch wenig anziehend und wohl auch materiell zu arm, als daß Kolonisten in Mengen dorthin geströmt wären.

  • Germanien widerstand einer weiteren Durchdringung erfolgreich, indem es die Römer in den Sümpfen des Teutoburger Waldes besiegte (im Jahre 9 n. Chr., Varusschlacht).

  • Auch das Griechische konnte sich (relativ problemlos) behaupten: In seinem Einflussgebiet, also im östlichen und südlichen Teil des Reiches war und blieb das Griechische die dominierende Sprache.

Der Grund hierfür ist interessant. Und vielleicht auch ein wenig überraschend. Er ist jedenfalls einer näheren Betrachtung wert.

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